Tanztheater-Tage in Weimar

Unkonventionell und experimentierfreudig:
die ersten Internationalen Tanztheater-Tage in Weimar
vom 26. 1. bis 3. 2.


Im Winter soll ja nichts los sein in Weimar. Weit gefehlt! Weimar wird in diesem Winter leuchten, wenn das Deutsche Nationaltheater vom 26. Januar bis 3. Februar 2001 die Internationalen Tanztheater-Tage Weimar veranstaltet. Francesca Spinazzi, Kuratorin für das Tanztheater im DNT, hat ein Festivalprogramm zusammengestellt, das lauter Highlights des zeitgenössischen Tanztheaters verspricht. Highlights davon spricht Francesca Spi-nazzi nicht gern, das Wort ist ihr ebenso unlieb wie das neumo- discheRedenvon events. Ihr liegt vielmehr daran, mit ihrem Programm ästhetische und inhaltliche Fragen aufzuwerfen, die Besucher für die internationale Sprache des Tanzes zu begeistern und deren Verständnis dafür zu vertiefen. Die Companies und Choreographen, die sie nach Weimar holt, gehören fraglos zum Interessantesten, was die internationale Tanztheaterszene zu bieten hat.
Für das belesene Weimar, wie Francesca Spinazzi sagt, hat sie ganz bewußt zwei Arbeiten ausgewählt, die sich auf literarische Vorlagen beziehen, auf Kaspar Hauser und auf Woyzeck. Mit dem Kaspar Konzert des Franzosen François Verret werden die Internationalen Tanztheater-Tage Weimar am 26. Januar im Großen Haus eröffnet. In Verrets Kaspar Konzert ist Kaspar Hauser ein Zirkusengel, der von einem Trapezkünstler und Akrobaten gespielt wird. Mathurin Bolze kommt aus der berühmten französischen Staatlichen Zirkusschule, der École Nationale des Arts du Cirque, die maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Cirque Nouveau hatte. Tanztheater und circensische Darbietungen gehen im Kaspar Konzert zur Musik des Jazzmusikers Jean-Pierre Drouet eine ungewöhnliche Verbindung ein.
Im Anschluß an die Eröffnungsfeier gibt es im Foyer III Gelegenheit, Filme und Videos zu sehen, die dem interessierten Publikum einen Einblick in das gegenwärtige Tanzgeschehen ermöglichen. Zu einem Festival, so finden wir, gehört außer dem geselligen Beisammensein nach den Vorstellungen (ganz wichtig!) auch das Angebot, sich ein Bild vom aktuellen internationalen künstlerischen Spektrum des Tanztheaters machen zu können. Das Programm für die Tanzfilmnacht entstand in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt/Main. Der Eintritt zu den Film- und Videonächten am 26. und 27. Februar ist frei.
Für den Woyzeck haben wir eine andere Begleitvorstellung vorgesehen: Das Kommunale Kino im mon ami zeigt vom 25. bis 31. Januar täglich 19.30 Uhr den berühmten Woyzeck-Film von Werner Herzog mit Klaus Kinski, dem enfant terrible des deutschen Films, in der Hauptrolle. Der Woyzeck von Josef Nadj, einem im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsenen Ungarn, der heute Leiter des Centre Chorégraphique in Orléans ist, evoziert Bilder aus der Büchnerschen Vorlage. Nadj stellt allerdings weniger die Figur des Woyzeck in den Vordergrund, sondern die Umstände, die Woyzecks Schicksal bestimmt haben. Er tut es auf eindrucksvolle, komische und todtraurige Weise zugleich (31. Januar, 1. Februar, jeweils 20 Uhr im e-werk).
Tanzabend. Tänze der Gegenwart der Titel des Stücks, das einmalig am 28. Januar im e-werk zu sehen sein wird, mag folkloristisch anmuten. Das Besondere dieser Choreographien des Schweizers Franz Frautschi liegt aber ganz woanders: Zwischen den von ihm getanzten Soli zu eigenen Kompositionen, zum Gitarrenspiel des Bolivianers Mario Tadeo, zu den schwermütigen Gesängen der Russin Zykina und zur Orchestermusik des Norwegers Johan Svendson setzt sich Franz Frautschi selbst ans Klavier und spielt Intermezzi. Auch dadurch wird die enge Beziehung zwischen Musik und Tanz in Frautschis künstlerischer Arbeit erlebbar: Musik und Tanz sind gleichwertig. Man darf sich nicht von der Musik fortreißen lassen, sagt der Choreograph, Tänzer, Komponist und Klavierlehrer(!), der zudem noch Tai-Chi-erfahren ist. Modische Kennzeichnungen wie multikulturell und cross over greifen zu kurz, weil sie nicht das Charakteristische von Frautschis Tänzen erfassen: Alles schwebt, fließt, dreht, gleitet in diesen Tänzen, die weich, durchlässig und harmonisch sind.
Den Abschluß und Höhepunkt des Festivals bilden die Aufführungen der Trisha Brown Company am 2. und 3. Februar im Großen Haus mit zwei Programmen. Trisha Brown, die Grande Dame der amerikanischen Tanzavantgarde, wird am 2. Februar selbst auf der Bühne zu sehen sein mit einem Solo, das sie mit dem Rücken zum Publikum tanzt: If you couldnt see me Wenn Sie mich nicht sehen könnten! Sie können dieses ungewöhnliche Solo nur am 2. Februar sehen! Bei beiden Vorstellungen erleben Sie Canto Pianto, einen Ausschnitt aus einer der wichtigsten Choreographien Trisha Browns. Es sind Szenen der Begegnung zwischen Orpheus und Eurydike zur Musik von Claudio Monteverdis LOrfeo. Musikalisch gesehen ein echter Kontrast dazu: Twelve Ton Rose nach Kompositionen von Anton Webern. Ganz gleich, ob alte, moderne oder neueste Musik wie die von Dave Douglas in Groove and Countermove (nur am 3. Februar!) Trisha Browns Choreographien zeichnen sich durchweg durch eine Experimentierfreude aus, die alle Konventionen hinter sich läßt. Unkonventionell und experimentierfreudig wollen auch die ersten Internationalen Tanztheater-Tage Weimar sein ein Festival, das Großes Haus und e-werk, Theater, Tanz und Film, internationale Künstler und (nicht nur) einheimisches Publikum zusammenbringt.
Die Januar-Ausgabe der Theaterzeitung Velvet enthält ein ausführliches Programm der Internationalen Tanztheater-Tage Weimar.

Friederike Tappe-Hornbostel



Abbildungen
S. 32: Francesca Spinazzi, Kuratorin für das Tanztheater am DNT (Foto: Maik Schuck)
S. 33: Trisha Brown in ihrem Solo If you couldnt see me (Foto: Joanne Savio)