Uecker in Weimar

Die Vorstellung des Komponisten, der ein verschwindendes Bühnenbild erträumte und der Musik in ihrer ganzen Entfaltung Raum geben wollte, war mir ein Beispiel.
(Günther Uecker zu Richard Wagner)


Die Ausstellung ... zum Raum wird hier die Zeit. Günther Uecker - Bühnenskulpturen und optische Partituren präsentiert bis zum 8. Juli 2001 im Neuen Museum Weimar eine umfangreiche Übersichtsschau zu Bühnenarbeiten und Bühnenprojekten von Günther Uecker. Sie beleuchtet damit einen wesentlichen Werkkomplex im Schaffen eines der renommiertesten europäischen Künstler, der seit Ende der sechziger Jahre kontinuierlich neben Ueckers freier Kunst entstand. Ueckers maßstabsgerecht ausgeführte Bühnenskulpturen, räumlich entwickelte Modelle für die Bühnenbilder der von ihm betreuten Inszenierungen, werden im Rahmen der Ausstellung ebenso vorgestellt wie Skizzenbücher, vorbereitende Zeichnungen, Figurinen, Originalkostüme und Aufführungsfotos.

Günther Uecker arbeitete zusammen mit namhaften Regisseuren wie Nikolaus Lehnhoff, mit dem er 1974 als seine erste große Opernarbeit eine vielbeachetete Neufassung der Beethoven-Oper Fidelio unter deren eigentlichem Titel Leonore in Bremen auf die Bühne brachte. Ausgehend von der Frage, ob die Utopie der Freiheit auf der Bühne überhaupt darstellbar sei, entstand eine konsequent schwarz-weiß gehaltene, äußerst reduzierte Ausstattung und Choreographie des Stückes, wobei der Künstler eines seiner wichtigsten Ausdrucksmittel, das Licht, als ein überzeugendes Symbol menschlicher Hoffnungen und Utopien auf der Bühne einsetzte. Hans-Magnus Enzensberger verfaßte einen literarischen Text für einen Sprecher als Ersatz für die gesprochenen Dialoge des ursprünglichen Librettos, die von Lehnhoff gestrichen wurden. Die besondere Leistung der Inszenierung lag in der kongenialen Ergänzung von Bühnenbild, Regieleistung und poetischer Substanz des gesprochenen Wortes.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Bühnenskulpturen für Projekte, die Günther Uecker in langjähriger freundschaftlicher Zusammenarbeit mit Götz Fried-rich in Bayreuth und in Stuttgart realisierte. Das Musiktheater Ri-chard Wagners nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein, erfuhr es doch durch die Bühnenskulpturen Ueckers und die Regieführung Friedrichs eine radikale ästhetische Neubewertung. Ihr intellektueller Zugang bereicherte die großen Wagner-Neuinterpretationen und Inszenierungen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre um wesentliche Aspekte. Der Parsifal nach den Bühnenentwürfen Ueckers wurde bereits 1976 für das Württembergische Staatstheater in Stuttgart in Szene gesetzt, Lohengrin 1979 für die Festspiele in Bayreuth und Tristan und Isolde 1981 wieder für das Staatstheater in Stuttgart. Jener Wagner-Komplex macht das Hauptwerk des Bühnenschaffens Günther Ueckers aus; für ihn ist Wagner einer der wichtigsten Neuerer der Musikgeschichte und ein revolutionäres Phänomen.
Im Rahmen zweier weiterer Projekte führte die Zusammenarbeit zwischen Uecker und Friedrich erneut zu maßstabsetzenden Lösungen. Für das Staatstheater Stuttgart wurde 1989 die Bassariden von Hans Werner Henze in enger Abstimmung mit dem Komponisten realisiert, wobei das ursprüngliche Libretto von W. H. Auden und Chester Kallmann aus dem Jahre 1966 gezielt überarbeitet und gestrafft wurde. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im November 1989 mit dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung erfuhren die Grundthemen der Henzeschen opera seria mit der Stuttgarter Aufführung eine ungeahnte Aktualität: Der Ruf nach individueller Freiheit, nach Unabhängigkeit, damit aber auch die Frage nach der Verführbarkeit des Menschen durch politisch-gesellschaftliche Systeme wurden nunmehr nicht nur auf der Bühne thematisiert. Die auf Euripides Drama Die Bakchen fußende Oper zeigte in ihrer Stuttgarter Inszenierung einmal mehr die visuelle Kraft der Ueckerschen Entwürfe bei gleichzeitiger größter inhaltlicher Stringenz seiner Bühnenausstattung.
Zu Ehren von Götz Friedrich ließ sich Günther Uecker noch einmal 1998 auf das Wagnis einer Bühnenarbeit ein und schuf das Bühnenbild zur Bachschen Matthäus-Passion, ein von beiden bereits seit 1978 geplantes Projekt, das aber erst zwei Jahrzehnte später, im Frühjahr 1999, realisiert werden sollte. Ihre letzte gemeinsame Arbeit für die Deutsche Staatsoper in Berlin wurde aufgrund ihrer konsequenten Bezugnahme auf den Bosnien-Krieg sehr kontrovers diskutiert. 14 Stationen des Bühnenbildes verdeutlichen in Analogie zu den christlichen Kreuzwegstationen menschliches Leid und menschliche Brutalität und stehen in engem Zusammenhang mit Ueckers wichtigsten Themen seit den achtziger Jahren: Die Verletzung des Menschen durch den Menschen und Der geschundene Mensch.
Zusätzlich zu den Bühnenskulpturen für realisierte und unrealisierte Ballett- und Opernprojekte zeigt die Ausstellung ein Ensemble von frühen Zeichnungen aus dem Jahr 1959, die sogenannten Optischen Partituren. Uecker versteht sie als eine Hommage auf John Cage, beschäftigte er sich doch damals zeichnend mit Notationen zufälliger akustischer Eindrücke. Cages Materialpartituren sind neben der Musik von Edgar Varèse und Richard Wagner prägende Eindrücke für Uecker. Sein Terrororchester, eine Sammlung von &Mac226;Instrumenten, die Uecker ausgehend von ersten Klangobjekten ab ungefähr Mitte der sechziger Jahre baute, wird in einer für Weimar ausgesuchten Zusammenstellung spielen, darunter die Vernageltezeitnähmaschine, das Kreischfaß und das Schlagende Brett. Unter formal-inhaltlichen Gesichtspunkten schlägt das Terrororchester eine Brücke zu dem futuristischen &Mac226;Krachraum Luigi Russolos zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, verarbeitet gleichzeitig aber auch Eindrücke von Cage-Aufführungen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre. Ueckers Schwarzraum Weißraum aus den Jahren 1972/75, der im Obergeschoß des Neuen Museums aufgebaut ist, verdeutlicht schließlich in quasi theatralischer Form Ueckers künstlerisch-philosophische Überzeugung und seine tiefe Verehrung von Kasimir Malewitsch.

Ulrike Bestgen

... zum Raum wird hier die Zeit. Günther Uecker - Bühnenskulpturen und optische Partituren. Neues Museum Weimar, bis 8. Juli (Di bis So 10 bis 18 Uhr). Katalog zur Ausstellung, G + H Verlag, Berlin 2001, 256 S., 250 Abb. in Duoton, Broschur, Preis: 45 DM, ISBN 3-931768-60-0