Kunst statt Militär

Musikstudenten beziehen ehemalige Weimarer Kaserne

Symbolträchtiger geht es kaum: In der Stadt, in der einer ihrer Großen davon geschrieben hatte, daß Orpheus' Leier für die Menschheitsentwicklung wichtiger gewesen sei als Herkules' Keule, in dem Land, in dem Schwerter zu Pflugscharen" vor der politischen Wende eine staatlicherseits nicht gerade beliebte Losung war, bezieht eine Musikhochschule - nach Umbau, versteht sich - eine ehemalige Kaserne. Eine historische Kaserne aus dem Jahre 1858, die über mehr als 130 Jahre immer Kaserne war und es nun nicht mehr ist. Sie entstand in eben der Zeit, in der eigentlich auch die Hochschule entstehen sollte (woraus dann erst 1872 etwas wurde), in eben der Zeit, in der Franz Liszt von Weimar aus eine musikhistorische Ära gestaltete und Erbgroßherzog bzw. Großherzog Carl Alexander ihm dabei zur Seite stand. Der Baumeister war kein geringer: der Schinkelschüler Carl Heinrich Ferdinand Streichhan (1814-1884), seit 1848 Oberbaudirektor in der Nachfolge Clemens Coudrays, an vielen markanten Punkten der Stadt noch heute durch exzellente Gebäude präsent.
Eine exzellente Kaserne (insoweit Kasernen exzellent sein können) ragt seitdem über der Stadt empor, wenige hundert Meter von Liszts Weimarer Domizil der 50er Jahre entfernt, der ALTENBURG. Auch die großherzogliche Militärmusik war hier zu Hause, eine ob ihrer Qualität weithin angesehene Militärmusik, die bis in das 20. Jahrhundert hinein nach alter Tradition die Hofkapelle um Blechbläser und Schlagwerk ergänzte, Wagnersche Werke in Weimar aufführbar machte.
Zum durchaus Symbolträchtigen gehört auch, daß die letzte von der sowjetischen bzw. russischen Armee in Thüringen genutzte Kaserne mit Europa-Mitteln saniert wurde, mit über 8 Mio. DM aus dem Konversions-Programm bei Gesamtkosten von etwa 27 Mio. DM, und daß die Umnutzung im Rahmen des EXPO-2000-Projektes neues bauen am horn" verwirklicht wurde, das den nötigen Schwung verlieh. Die nunmehrige Benennung Hochschulzentrum Am Horn" ist auch eine Hommage an dieses sie einbettende Großprojekt Weimarer Raumentwicklung. Gewiß ist die Straße Am Horn etwas weiter weg Richtung Hochschul-Hauptgebäude Fürstenhaus. Aber das neue Quartier ist eben vom Versuchshaus des Bauhauses geprägt. Zu dieser Partnerschaft bekennen wir uns, auch mit gegensätzlicher Architektur zu den neu entstehenden Wohngebäuden. Und: Die Hornklasse der Hochschule ist im Hochschulzentrum Am Horn (musikalisch: h-c-a-h) ja auch untergebracht ...
Wie kam es zu dieser glücklichen Lösung? Die Gestaltung einer zukunftsfähigen Raumsituation war eine der zentralen Aufgaben der vergangenen Jahrzehnts. Die Auseinandersetzung um das Reithaus 1992/94 sensibilisierte allseits für die Einsicht, daß neben der unbedingt erforderlichen grundhaften Sanierung der angestammten zukunftsfähigen Gebäude (derer am Platz der Demokratie, Am Palais und in Belvedere) eine wesentliche Vergrößerung des Raumbestandes nötig und im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit geboten sei und dies in möglichst günstigem räumlichen Zusammenhang, mit kurzen Wegen - für eine Hochschule in der Provinz" ein gewichtiger Vorzug. Die grundhafte Sanierung des Gebäudes Am Palais 4 (einst Franziskanerkloster, ab 1874 Gründungsgebäude der heutigen Hochschule) und der Gebäude in Belvedere wurde im Jahre 1998 abgeschlossen. Im April 1999 konnte nach insgesamt sechsjähriger Bauzeit, davon die letzten anderthalb Jahre bei weitgehend freigezogenem Gebäude, das Fürstenhaus mit dem 1770 geplanten, aber nie gebauten Festsaal in der Mitte des Hauses (wieder) in Besitz genommen werden. Die längste Zeit wurde überall bei laufendem Betrieb saniert - gelegentlich abenteuerliche Bedingungen für Lehre und Studium.
Hinsichtlich der Erweiterung - zunächst auf Reithaus plus Leibnizallee 1 gerichtet, dann auf ein großes Ersatzprojekt für die vielen über die Stadt verteilten kleinen Gebäude direkt neben Haupt- bzw. Verwaltungsgebäude (Neubau auf jetzigem Parkplatz des Elephant" plus Gebäude Markt 13) - konzentrierte sich seit Ende 1995 alternativ dazu auf die Streichhan-Kaserne in der Leibnizallee, für die andere diskutierte Nutzungen ohne positives Ergebnis geblieben waren. Nach dem Scheitern des Neubau-Projektes Ende 1997 wich die spannende und auch nervende offene Situation der Überzeugung, daß mit der Streichhan-Kaserne die Komplettierung erreicht werden könne. Allerdings: Wir waren damit nicht in der Hochschulbau-Rahmenplanung. Beantragen und warten bis 2003, bei dem sichtbaren Verfall des Gebäudes? Woher aber sollten die 20 Mio. DM kommen, die zunächst angesetzt wurden? Die mehrjährigen Verhandlungen auf mehreren Ebenen führten schließlich zum Ziel. Die Umwidmung der für den Bau der gemeinsamen Theaterwerkstätten Weimar/Erfurt auf dem Konversionsgelände an der Ettersburger Straße nicht mehr benötigten Europa-Mittel gelang, Ende 1998 wurde der Bauantrag vom Thüringer Finanzministerium genehmigt, bereits zuvor hatte eine Projektgruppe der Landesentwicklungsgesellschaft die Arbeit begonnen, in deren Obhut das Projekt verwirklicht wurde. Ende 1998 begann mit einer Gebäudesicherung (insbesondere des Daches) der Umbau der Kaserne. In der dann noch langandauernden kontroversen Diskussion um Funktion versus Denkmalpflege, die um die Frage kreiste, wie die schwerwiegende Umnutzung auch durch Anbauten sichtbar gemacht werden könne, setzte sich jenseits des unbedingt nötigen Fahrstuhls an der Rückseite des Gebäudes der Denkmalpflege-Standpunkt massiv durch. Innen kam allerdings die Umnutzung zu vollem Recht, mit allen Schallschutz-, Raumakustik- und anderen Herausforderungen. Die mehrstufige Entwicklung des Nutzungskonzeptes, seit 1999 auch mit dem nun eingebundenen Architekturbüro Rittmannsperger und Partner (Erfurt) debattiert, führte schließlich zu den nunmehrigen optimierten Lösungen (Dachgeschoßgestaltung, Bibliothek). Am 7. Juli 2000 war Rohbaufest, ab 1. Oktober 2001 läuft der volle Lehr- und Studienbetrieb im neuen Gebäude. Der ehemalige Exerzierplatz vor der Kaserne, nun zur Rasentreppe" halbiert, heißt seit 24. Juni Carl-Alexander-Platz. Der Schlußstein der Raumentwicklung der Hochschule in einen weiten Zukunftshorizont hinein ist gesetzt. Im September ist Umzug, fünf andere Gebäude werden aufgegeben: Herbarium Haußknecht (bisher Hörsaalgebäude, Kulturmanagement), Tiefurter Allee 2 (bisher Bläserhaus), Tiefurter Allee 6 (bisher Dirigieren, Musiktheorie, Rhythmik), Mozartstraße 11 (bisher Musikwissenschaft und Hochschularchiv) und Schwanseestraße 29 (bisher Jazz).
Eine weitere Chance wird 2002 realisiert werden: die beiden nach 1900 gebauten Mannschaftshäuser an der Rückseite der Kaserne werden vom Studentenwerk zu Wohnheimen saniert. Damit ist dann ein Innenstadt-Campus entstanden, mit den vom Studentenwerk bereits sanierten Gebäuden an der Leibnizallee und mit dem ehemaligen Offizierskasino östlich der Kaserne, nun von der Bauhaus-Universität (Institut für Europäische Urbanistik) genutzt. Es ist ein Innenstadt-Campus von besonderer Qualität, der mit den anderen Bebauungen des neuen bauens am horn" korrespondiert: ein in wenigen Jahren gewiß sehr interessantes Stadt-Quartier in Weimar.
ZukunftMusik in der Kulturstadt Europas" - der 2000er Slogan der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar verlangt nach zukunftsfähigen Rahmenbedingungen. Bezüglich Raumentwicklung sind diese nun Wirklichkeit: Innenstadtbogen" mit Gründungsgebäude Am Palais 4, Hauptgebäude Fürstenhaus und Verwaltungsgebäude Rößlersches Haus am Platz der Demokratie, Hochschulzentrum Am Horn am Carl-Alexander-Platz, dazu die Dependance im Grünen" mit drei der vier Kavalierhäuser und dem Studiotheater in Belvedere, direkt neben unserem Partner Musikgymnasium Schloß Belvedere.
Fazit: Vieles hat sich bzw. vieles wurde gut gefügt. Herzlicher Dank gilt allen engagiert Beteiligten!

Wolfram Huschke