Von Voyage bis April me

Die 3. Internationalen Tanztheatertage am DNT Weimar stehen im Zeichen des Experimentierens mit Technologie und Medien


Nach nur zwei Editionen haben sich die Internationalen Tanztheatertage einen festen Platz in der Spielzeit Weimars erobert. Sie werden erwartet, was nichts anderes heißt, als dass man sie braucht.
Hervorzuheben am diesjährigen Programm sind zwei deutsche Erstaufführungen: Voyage des japanischen Künstlerkollektivs dumb type und (but if a look should) April me, das Jubiläumsstück der belgischen Choreographin Anna Teresa de Keersmaeker. Diese beiden Arbeiten bilden die Klammer eines Programms, das in einer guten Woche - von Freitag, 21. Februar, bis Sonnabend, 1. März - das Experimentieren mit Technologie und Medien als Schwerpunkt hat. Wenn es in Weimar eine Bauhaus-Universität gibt, so sollen die Studenten - insbesondere jene an den Fakultäten für Architektur und Medien - in ihrer Stadt mit einem Kunstangebot konfrontiert werden, das die eigene Arbeit nährt.
Wie wichtig das ist, beweist die Gruppe dumb type, die sich Mitte der 80er Jahre an der Kunsthochschule in Kyoto als Künstlerkollektiv formierte. Komponisten, Tänzer, Architekturdesigner, Videokünstler und Fotografen fühlten die Enge eines streng fachgerichteten Studiums und verspürten die Lust und nicht zuletzt die Notwendigkeit, die Karten zwischen den Sparten neu zu mischen. Dazu animiert und bestätigt wurden sie durch Gastspiele von Künstlern wie Robert Wilson, Pina Bausch oder Laurie Anderson, die unter Beweis stellten, dass Theater nicht nur Sprechtheater, Tanz nicht nur Ballett und Musik nicht nur Konzert sein muss. Umso mehr in einer Zeit, in der die Technologie neue Möglichkeiten der Kommunikation eröffnete. dumb type gehört demnach zu den Pionieren des Experimentierens mit Medien. Folgerichtig machen sie den Anfang.
In Voyage ist das Thema die depressive Unruhe, die uns allerorts umgibt, das Bedürfnis, dieses Unbehagen stellvertretend für uns alle auf der Bühne zu zeigen. Der Künstler als Wanderer bricht abermals auf. Helena Waldmann begibt sich mit einem Dampfschiff auf Reisen. Unterstützt von der Video-Künstlerin Anna Saup, nimmt sie sich einer frühen Erzählung Bertolt Brechts an - glücksjohnny - und verwandelt die Bühne in eine zweidimensionale Spielkarte. Ich liebe es, die Grenzen zu verwischen, den Taumel zu erzeugen, die Sehgewohnheiten zu brechen und vergnügt die Verwirrung zu steigern, so Helena Waldmann über ihre Arbeit. So sophisticated ihre Stilmittel auch sein mögen, so rühren sie aus der Zauberkiste des Theaters. Ihre Schattenspiele sind so alt und neu wie Platons Höhlengleichnis. Die Kunst der Helena Waldmann besteht darin, unser ikonographisches Gut per Illusion zu evozieren.
Paul André Fortier ist eine Galionsfigur des kanadischen Tanzes. Wie in allen Kanadiern - besonders Québecs - leben in ihm die europäische und amerikanische Tradition neben- und miteinander. In Tensions (Spannungen) treffen zwei Männer verschiedenen Alters aufeinander. Was sie trennt und verbindet stellt ein Gewebe aus Klang und Video dar. Bedeutend bei dieser Arbeit ist die Erkenntnis, dass Tanz eine Sprache ist, bei der Alter keine Rolle spielt. Die einzige Bedingung ist, man hat was zu sagen.
Mårten Spånberg ist von Hause aus Dramaturg und hat für seinen Zungenbrecher i.e. All All Over Over All All et. al. die Zusammenarbeit mit dem Architekten Tor Lindstrand gesucht. Diese Arbeit ist zweifelsohne die experimentellste der Reihe: Indem die Stockholmer Künstler mit dem Zuschauer Verkehrte Welt spielen, machen sie ihn zum Protagonisten ihrer Performance.
Da ich der Unorthodoxie dieser vielseitigen Künstler nicht nachstehen will, so enden die Tanztheatertage 2003 mit einer Arbeit, die überhaupt keine Technologie einsetzt, aber ebenfalls heiter die Sparten durcheinander bringt. In (but if alook should) April me der belgischen Choreographin Anna Teresa de Keersmaeker tanzen die Musiker, und die Tänzer singen und spielen Musik. Mit diesem Stück feiert die Gruppe Rosas, die an der Brüsseler Oper Théâtre de la Monnaie in Residenz arbeitet, ihr 20-jähriges Jubiläum. Und wählt als Chiffre die Hochzeit. Thierry de Mey, der von Anfang an künstlerischer Weggefährte der Choreographin ist, hat den Abend musikalisch strukturiert.
Seine Komposition Les Fiançailles/ Die Verlobung ist den Elementen Wasser, Erde, Wind und Feuer gewidmet und steht kontrapunktisch zu Igor Strawinskys Les noces/Die Hochzeit. Wie für die Intermezzi der Barockoper La Pellegrina, die aus Anlass einer de Medici-Hochzeit entstanden, so auch in der Komposition von Thierry De Mey wird die Harmonie zwischen den vier Elementen beschworen in einer Welt, die nach dem Urknall oder der Vertreibung aus dem Paradies stets auf der Suche nach der Wiederherstellung der verlorenen Einheit ist. Demnach ist in der Auseinandersetzung zwischen Chaos und Harmonie die Hochzeit nur eine Ruhepause.
(but if a look should) April me ist ein grandioser Abend, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Und weil Thierry De Mey nicht nur Komponist, sondern auch Filmemacher ist, zeigen wir seine Videoinstallation Deep in the Wood, in der er Tanz, Film und Musik zu einem sinnlichen Gesamtkunstwerk zusammenführt. Die betörende Collage, inszeniert, getanzt und gefilmt in den Wäldern um Brüssel und Salzburg, wird auf drei Leinwände projiziert und kombiniert mit einer elektro-akustischen Klangkomposition aus Naturgeräuschen und Musik. Der Zuschauer befindet sich beim Betreten des Tryptychons mitten in einem verzauberten Wald, umgeben von tanzenden Gestalten.
Deep in the Wood soll das traditionelle Filmangebot ergänzen, das auch diesmal in Zusammenarbeit mit dance screen eine Auswahl der beim alljährlichen Wettbewerb von Monaco preisgekrönten Filme vorsieht. Außerdem zeigen wir zum Gastspiel von Rosas Peter Greenaways Film Rosa, der auf einer Choreographie von Anna Teresa de Keersmaeker beruht.
Als Einführung in das Programm ist der Vortrag von Nik Haffner über William Forsythes Improvisation Technologies am Donnerstag, den 20. Februar, um 18 Uhr im Oberlichtsaal der Bauhaus-Universität gedacht.
Wie wichtig es für eine Stadt wie Weimar ist, dass der Wind der Welt hineinwehe, machte in meiner Heimatstadt Mailand Giorgio Strehler vor, indem er sich nicht mit dem Erfolg der eigenen Theaterarbeit an seinem berühmten Piccolo Teatro zufrieden gab, sondern sie immerzu mit internationalen Gastspielen konfrontierte. Unter dem schönen Titel Milano aperta öffnete sich Mailand für die Arbeit anderer Künstler. In diesem Sinne wünsche ich mir für die 3. Internationalen Tanztheatertage ein offenes Weimar.

Francesca Spinazzi


Abbildungen
l: dump type, Voyage (Foto: Emmanuel Valette)
r: Rosas, April me (Foto: Herman Sporgelos)