Neue Kunst im öffentlichen Raum in Erfurt


Von der Hommage auf Meister Eckhart bis zur Kunst am Klärwerk


Die gleichermaßen gelobten und gescholtenen von der Bausumme abzuführenden Prozente für Kunst am Bau sind nicht neu erfunden, sie waren im Gegenteil in der ehemaligen DDR sogar gesetzlich verankert. Und es betraf ebenfalls Bauvorhaben der öffentlichen Hand, sprich des Staates.
Damals war jedoch der Anteil privaten Bauens verschwindend gering. Eine Planbarkeit der Kunst in der Stadt in allen repräsentativen Bereichen war damit möglich.
Heute spielen private Bauherren gegenüber der öffentlichen Hand eine entweder gleichbedeutende oder größere Rolle. Und die abzuführenden Prozente für Kunst sind nicht mehr per Gesetz festgelegt, sondern beruhen auf einer Bundesempfehlung, die in Erfurt zu Beginn des Jahres 1992 durch eine Dienstanweisung Kunst im öffentlichen Raum zur Verbindlichkeit erhoben wurde, gültig aber ebenfalls nur für die öffentlichen Bauvorhaben.
Erfreulicherweise schließen sich hin und wieder private Bauherren diesen Empfehlungen an, ohne jedoch eine Abstimmungs - oder mindestens Informationspflicht zu haben. Das erschwert die Planbarkeit eines künstlerischen Profils der Stadt, sorgt andererseits für Vielfalt. Beide Aspekte sollten zusammengeführt werden, um mit der Sprache der Kunst beizutragen zu einer für alle Seiten interessanten Identifikation mit der Stadt im Sinne der Repräsentation nach außen.
Die Reaktion der Bauträger innerhalb der Stadtverwaltung ist unterschiedlich. Aber diese zunächst bürokratische Festlegung wurde z.B. vom Erfurter Tiefbauamt in beispielhafter Weise mit Leben erfüllt. Man verfolgt dort das Konzept, die Notwendigkeit stadttechnischer Bauten für die Lebensqualität allgemein und damit auch für das Kulturprofil der Stadt ins Bewußtsein zu rücken. So sah man die Richtlinie als Chance, Kunst bei Baumaßnahmen einbeziehen zu können, wo dies zunächst nicht vermutet wird: z.B. an dem Verkehrsknoten Binderslebener Knie (siehe Titel).
Das hoch aufragende, beeindruckende rote Metallobjekt des Münchner Bildhauers Jochen Scheithauer auf der Brücke des Verkehrskreuzes Binderslebener Knie in Erfurt ist seit seiner Aufstellung im Jahre 2001 in einen nachhaltigen Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Die provozierende Monumentalität des farbintensiven Kunstwerks dominiert den Raum und verwandelt den bisher anonymen Standort unvermittelt in die Bedeutung eines nördlichen Stadttores, das weithin ausstrahlt - eine Zielvorstellung der Wettbewerbsausschreibung.
Das Werk in seiner Winkelung - durchaus auch als Knie interpretiert - geht durch Form, Größe, Verhältnismäßigkeit zum schlichten und funktionalen Verkehrsbau eher auf Distanz, schafft Reibung. Formal wird der Winkel auch an den Tunnelwänden als Beton-Relief wieder aufgenommen: gleiche Abmessungen der Elemente, gleiche Abstände an den Wänden, jedoch stadteinwärts spielerisch nach dem Zufallsprinzip um den Scheitelpunkt gedreht, ungeordnet also, indessen auf der Gegenseite einer linearen Ordnung folgend. Die Erwartung auf den Stadtbesuch ist vielfältig, beim Verlassen der Stadt sind die Geschäfte schließlich geregelt - das als eine mögliche Enträtselung des Programms.
Die Zusammenarbeit des Tiefbauamtes mit dem Künstler ließ kreative Freiheit zu, entwickelte sich auch in konstruktiv-organisatorischer Weise sehr positiv und begann zum richtigen Zeitpunkt, nämlich in der Planungsphase - eine wünschenswerte Voraussetzung!
Kunst an Verkehrsbauwerken ist nicht ganz ungewöhnlich. Irritierender war sicher der Wunsch des Tiefbauamtes, die Erweiterung des Klärwerkes Erfurt-Kühnhausen mit Kunst in Verbindung zu bringen. Die Richtigkeit der Idee wurde jedoch sowohl durch die großenteils sehr interessanten, spezifisch auf das Bauvorhaben abgestimmten Wettbewerbsentwürfe als auch durch die Reaktion der dafür eingeladenen Jury bestätigt. Ausgewählt wurde nach langer und verantwortungsvoll geführter Diskussion der Entwurf des bei Halle lebenden Künstlers Jörg-Tilmann Hinz. Der Komplex Kläranlage Erfurt - Kühnhausen mit seinen vielteiligen technischen Anlagen und Gebäuden, einschließlich der künstlerischen Leistungen von Jörg- Tilmann Hinz zum Ausgang 2001 in einem feierlichen Akt übergeben, hat auf besondere Weise bewußt gemacht, daß ein einzelnes Kunstwerk an dieser Stelle nur periphere Bedeutung erlangt.
Deshalb wurde schon in der Wettbewerbsausschreibung auf die Gestaltung der Gesamtanlage orientiert. Dem Metallplastiker J.T. Hinz gelang es in zunehmend vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Planern und ausführenden Firmen durch eine einheitliche Farbsetzung, Bepflanzungspläne mit heimischen Hecken und Baumgruppen und der Integration einer dominierenden Lichtgestaltung ein gleichsam im Wachstum befindliches Gesamt-Kunstwerk zu initiieren.
Um das bedeutende Industrieobjekt in seiner Randlage in das Bewußtsein der Stadt zu bringen, sah der Künstler am Treppenturm und an den Gasometern Lichtinstallationen vor: grafische Akzente, die bei Eintritt der Dunkelheit markante Zeichen setzen, gedanklich entwickelt aus dem Charakter der technisch-konstruktiven Notwendigkeiten funktionaler Gebäude, Anlagen und Technik der Kläranlage.
1996 kam es - leider viel zu kurzfristig vor Bauende - zu einem Wettbewerb für die Eingangsgestaltung zum Erfurter Eissportzentrum, bei dem die Arbeit des österreichischen Künstlers Hellmut Bruch als überzeugendste Arbeit realisiert wurde. Mit einer hoch aufsteigenden, sanft geschwungenen Stele aus fein geschliffenem Edelstahl sucht der Künstler ein formales Äquivalent zu finden zu Kraft und Eleganz des Schlittschuhschrittes und des Eislaufsportes. Durch den Bau der Eislaufhalle wurde der Haupteingang verlegt, und so sollte auch das Kunstwerk umgesetzt werden, was in Abstimmung mit dem Künstler und den technischen Möglichkeiten noch vor Eiweihung der Halle im Dezember 2001 realisiert werden konnte.
Bei Vorhaben von Kunst im öffentlichen Raum kann es, auch bei Aufträgen der Stadtverwaltung, zu Lösungen kommen, bei denen private Partner mit einbezogen werden. So bei der Hommage auf Meister Eckhart, einen der bedeutendsten Bürger unserer Stadt. Sein Wirken als Dominikanermönch war eng mit der Predigerkirche verbunden, und so wurde dieser Auftrag von Anfang an in Partnerschaft mit der jetzt dort zuständigen evangelischen Gemeinde geplant.
Die Arbeit - ein Bronzerelief mit dazwischen gesetztem Acrylglas von dem Berliner Künstler Siegfried Krepp - ist in ein vermauertes Portal an der Nordseite der Kirche eingefügt. Siegfried Krepp wählte zum Thema das Zitat aus dem Johannesevangelium das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt, über das Meister Eckhart eine seiner berühmten Deutschen Predigten hielt. Eine strenge, die Gedanklichkeit des Mystikers überzeugend symbolisierende Gestaltung.
Ähnliche Erfahrungen mit einem privaten Partner gab es bei der Ehrung für den Rechenmeister Adam Ries, der in Erfurt seine ersten Rechenbücher gedruckt hat. Auch hier hielten wir die Plazierung an dem Haus der alten Druckerei in der Michaelisstraße für einzig sinnvoll (seine Wohnung ist uns nicht bekannt) und waren dadurch an Probleme gebunden, die die Suche nach dem Hauseigentümer und zögerliche Baudurchführung betrafen. So konnten wir die dreiteilige Arbeit des Erfurter Künstlers Dietmar Lenz, die er bereits 1992 geschaffen hat, erst mit Fertigstellung des Gebäudes 2001 montieren - eine Arbeit, die durchaus dem Charakter der Altstadt gerecht wird. Die vollplastische Büste folgt der mittelalterlichen Tradition der Gaffköpfe in Holz oder Stein, hier allerdings als Bronzeguß ausgeführt. Eine Tafel mit den Lebensdaten und ein im Fußweg eingelassenes Rechenbrett von Adam Ries ergänzen die Hommage auf den bedeutenden Bürger der Stadt.
Interessant für den städtischen Raum sind auch temporäre Projekte, besonders wenn sie eingeleitet werden durch ein Arbeitssymposium, bei dem Künstler und Öffentlichkeit in direkten Kontakt kommen können.
So lud anläßlich des Johann-Sebastian-Bach-Jahres 2000 die Kulturdirektion Erfurt sieben Künstlerinnen und Künstler aus fünf Ländern zu einem Bildhauersymposium Struktur und Form in der Musik von Johann Sebastian Bach ein. Der gedankliche Hintergrund war, die Wirkung der Bachschen Musik auf andere Bereiche der Kunst zu hinterfragen. In Auseinandersetzung mit der Thematik schufen die Künstler Skulpturen aus unterschiedlicher konzeptioneller Sicht: kraftvoll emotional, klar strukturiert oder auch sensibel skriptural, immer auch unter bewußtem Einsatz der Eigenschaften der zur Verfügung stehenden Thüringer Gesteine.
Die erfolgreiche Suche der Künstlerschaft nach bildhauerischen Lösungen basierte auf einem erstaunlichen Wissen zu J.S. Bach.
Musiker, Musik- und Kunstwissenschaftler verständigten sich in einem begleitenden Theoriekolloquium mit den Künstlerinnen und Künstlern über die neuesten Forschungen. Auch interessierte und kritische Besucher waren während des Symposiums jederzeit erwünscht.
Die entstandenen Skulpturen wurden im Jahr darauf unterhalb der Petersfeste Erfurt (Bastion Martin) in einer zur Stadt hin abfallenden Grünanlage in spannungsreichem Miteinander aufgestellt.
Schließlich sei auf ein noch im Werden befindliches Projekt verwiesen, den Theaterneubau im Erfurter Brühl. Hierbei wurde durch das Hochbauamt in vorbildlicher Weise bereits zum Planungsbeginn die Zusammenarbeit mit der Kunstkommission und anschließend mit dem Düsseldorfer Lichtkünstler Mischa Kuball gesucht. Wir hoffen, daß die Ausführung den Erwartungen entsprechen wird und wir die Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen dürfen.

Heidi Bierwisch/Herbert Schönemann

Unter dem Titel Erfurt - Denkmale, Brunnen, Skulpturen und Reliefs im städtischen Raum erscheint im April eine Broschüre von 36 S., die zum Preis von 2 ¤ in der Tourismus-GmbH, den Buchhandlungen Peterknecht und Buchhabel und den Kultureinrichtungen Erfurts erhältlich ist.