Bella Pittura


Meisterwerke italienischer Kunst des 20. Jahrhunderts aus den Sammlungen der Stadt Mailand im Neuen Museum Weimar


Bella Italia und Bella Pittura der Italiensehnsucht der Deutschen kommt eine Ausstellung entgegen, die im Frühling im Neuen Museum zu sehen ist. Mit dem Gastauftritt des Civico Museo d´Arte Contemporanea (CIMAC) aus Mailand präsentieren die Kunstsammlungen das Ausstellungsereignis des Jahres in Thüringen. Über siebzig Jahre nachdem einige Meisterwerke des italienischen Futurismus aus der Sammlung Paul Citroen das Weimarer Stadtschloß als entartete Kunst verlassen mußten, kehren nun erneut Werke von Umberto Boccioni, Carlo Carrà, Giacomo Balla und Gino Severini in die Klassikerstadt zurück. Die Ausstellung, für die das Neue Museum vollständig geräumt wird, bietet mit insgesamt 125 Gemälden jedoch mehr als eine Futuristen-Schau, vielmehr zeigt sie einen repräsentativen Überblick über die Entwicklung der ita- lienischen Malerei im 20. Jahrhundert.
In den 20er Jahren bot die spektakuläre Sammlung des Bauhausschülers Paul Citroen dem kunstinteressierten Weimarer Publikum erstmals die Möglichkeit, sich mit der seinerzeit avanciertesten Kunst Italiens vertraut zu machen. So hingen von 1924 bis 1929 in den Räumen des Residenzschlosses unter anderem zwei Hauptwerke Carlo Carràs Die Beerdigung des Anarchisten Galli (1911, heute im Museum of Modern Art, New York) und Was mir die Straßenbahn erzählt (1910/11, heute im Sprengel Museum Hannover) sowie Luigi Russolos Schlüsselwerk Die Revolution (1911/12, heute im Gemeentemuseum, Den Haag). Als etwa sechzig Jahre später die Sammlung Paul Maenz nach Weimar kam, deren besondere Qualität in umfangreichen Werkgruppen prägender italienischer Künstler wie Piero Manzoni, Giulio Paolini, Salvo und Vertretern der Arte povera und der Transavanguardia liegt, konnte an diese Vorarbeit angeknüpft werden. Aber ein breit gefächerter Überblick über die wichtigsten künstlerischen Tendenzen der italienischen Kunst des 20. Jahrhunderts blieb bis heute ein Desiderat. Um so entschlossener griffen die Kunstsammlungen zu, als sich die einmalige Chance bot, die Sammlung des im Umbau befindlichen Mailänder CIMAC zu übernehmen, die als eine der wichtigsten öffentlichen Kollektionen moderner Kunst in Italien gilt.
Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die Eigenart der italienischen Moderne sichtbar werden zu lassen. Der Bogen spannt sich dabei in der ersten Jahrhunderthälfte vom Futurismus und der Pittura metafisica Giorgio de Chiricos zu der stillen, intensiven Malerei Giorgio Morandis und der traditionsverpflichteten Novecento-Bewegung, für die der pathetische Stil eines Mario Sironi charakteristisch ist. Da es im faschistischen Italien im Gegensatz zu Nazi-Deutschland nicht das Verdikt der entarteten Kunst gab, waren auch in den 30er Jahren prinzipiell alle Kunststile möglich. Erst in der Nachkriegszeit bildete die Kontroverse um die Bedeutung und Berechtigung gegenständlich-realistischer oder abstrakter Kunst eine wichtige Zäsur, die unter den Mitgliedern der Künstlergruppe Fronte Nuovo delle Arti zu einem Bruch zwischen dem Lager der Realisten um Renato Guttuso und dem der Abstrakten um Emilio Vedova führte.
Die Mailänder Avantgarde der späten 50er und 60er Jahre wird mit Werken von Lucio Fontana, Piero Manzoni, Enrico Castellani, Agostino Bonalumi und Dadamaino vorgestellt. Von hier zieht sich eine Entwicklungslinie von den italienischen Vertretern des Nouveau Réalisme und der Pop Art wie Mimmo Rotella oder Mario Schifano hin zur Arte programmata e cinetica, die industrielle Herstellungsprozesse in den künstlerischen Bereich übertrug. Mit der Arte povera entwickelte sich Ende der 60er Jahre eine Gegenbewegung zur amerikanischen Minimal Art, die organische und natürliche Stoffe bevorzugte und weit über Italien hinaus ausstrahlte. Die Ausstellung präsentiert die Kunst von Jannis Kounellis, Mario Merz, Giulio Paolini oder Michelangelo Pistoletto als Auseinandersetzung mit der Realität, als eine Veranschaulichung der menschlichen Existenz.
Als Anfang der 80er Jahre ein neuer Malereibegriff entstand, spielten die Künstler der Transavanguardia um Sandro Chia, Enzo Cucchi und Mimmo Paladino eine zentrale Rolle. Anknüpfend an diese bedeutende Periode, zeigt die Ausstellung auch einen komprimierten Ausblick auf die aktuelle Malerei der 90er Jahre und macht somit die eigentümliche Dynamik von Bewegung und Gegenbewegung, von Neuanfängen und Wiederholungen, von Querverbindungen und Einflüssen in der italienischen Kunst für jeden Besucher erlebbar.
Zur Ausstellung erscheint im G+H Verlag ein Katalog von ca. 288 Seiten, in dem alle Exponate größtenteils farbig abgebildet sind (Verkaufspreis: 16,50 ¤).

Gerda Wendermann

Im Neuen Museum Weimar bis 23. Juni 2002