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Oskar Kokoschkas &Mac226;Schule des Sehens im Kunsthaus Apolda Avantgarde

Sein Plakat zur ersten internationalen &Mac226;Kunstschau (Wien 1908), veranstaltet von der Klimt-Gruppe, der Wiener Kunstgewerbeschule und der &Mac226;Wiener Werkstätte, für die der 1886 im niederösterreichischen Pöchlarn geborene Oskar Kokoschka kurz zuvor Entwürfe für Postkarten geliefert hatte, zeigte den 22-jährigen Kunstgewerbeschüler noch ganz im Banne der Wiener Stilkunst. Was er jedoch in einem eigenen Raum auf der &Mac226;Kunstschau präsentierte - das Triptychon &Mac226;Die Traumtragenden, Entwürfe zu seinem eben erschienenen ersten Künstlerbuch &Mac226;Die träumenden Knaben (mit eigenem Text) sowie Akt- und völlig neuartige Bewegungsstudien junger Mädchen - das rüttelte das konservative Publikum und vor allem die Lokalpresse aus selbstgenügsamen Jugendstil-Träumen: Das Schreckenskabinett des Oberwildlings (Ludwig Hevesi) machte den bisher unbekannten Debütanten über Nacht zur berüchtigten Berühmtheit der Donaumetropole. Das verkannte und öffentlich diffamierte Genie, das sich durch die täglichen Beleidigungen in der Presse wie ein Verbrecher behandelt sah (OK), ließ sich daraufhin den Kopf kahlscheren, um als &Mac226;Gezeichneter seinen Protest sichtbar kundtun zu können.
Als er ein Jahr später im Rahmen des &Mac226;Sommertheaters in der Kunstschau sein Geschlechterkampf-Drama &Mac226;Mörder, Hoffnung der Frauen (1908) und seine Komödie &Mac226;Sphinx und Strohmann (1907/1908) zur Aufführung brachte, läutete er mit dem erneuten Skandal nicht nur das wirkliche Fin de siècle, sondern auch gleich sein eigenes Ende ein - kaum dass er begonnen hatte, seine Stimme als Schriftsteller und als Maler zu erheben. Das Plakat füllte die Ränge des Freilichttheaters aufgrund der provozierenden Darstellung des Inhaltes des Dramas: Der Mann (Selbstbildnis Oks) ist blutig rot, das ist die Lebensfarbe, aber tot liegt er im Schoß einer Frau (Modell: Helene Ritscher), die weiß ist, das ist die Todesfarbe. Wenn das Schlagwort Expressionismus einen Sinn hat, hier ist eine der frühesten Kundgebungen in diesem Sinne. Und das Plakat hat die Wiener, wie ich es beabsichtigte, in Rage versetzt (OK, 1971).
Mehr noch als über seine bemerkenswerten Dokumente brutalen Pfuschertums (Wiener Abendpost) in der zweiten &Mac226;Kunstschau erregte sich die Wiener Presse über die jugendliche Manifestation seiner Weltanschauung in den avantgardistischen Einaktern.
Auf Druck des Unterrichtsministers wurde der 23-jährige daraufhin als störendes Element mit sofortiger Wirkung vom Unterricht suspendiert - doch als Mann der letzten Zukunft (Karl Kraus) war er längst zu neuen Ufern der Kunstgeschichte aufgebrochen und suchte (mit Unterstützung des Reformarchitekten Adolf Loos und des &Mac226;Fackel-Herausgebers Karl Kraus) als erster &Mac226;entarteter Künstler sein zukünftiges Künstler-Heil im Exil: In Berlin, als Mitarbeiter der neuen expressionistischen Zeitschrift &Mac226;Der Sturm Herwarth Waldens, deren &Mac226;Neue Nummer er mit einem Plakat mit dem &Mac226;Selbstbildnis mit Brustwunde als &Mac226;Ecce Homo ankündigte und in deren wöchentlichen Ausgaben er seine neuartigen psychologischen Porträts und seine Texte veröffentlichen konnte, die ihn bis Ende des Jahres 1910 in ganz Europa bekannt machten - und zum ersten Wiener, dem man Genie nachsagen kann (Paul Ferdinand Schmidt).
Anfang 1911 zurückgekehrt nach Wien, um an der Ausstellung des dortigen &Mac226;Hagenbundes teilzunehmen, musste er jedoch schnell erkennen, dass seine Wahngebilde einer krankhaften Jugend (Pressestimme) im morbiden Wien immer noch auf strikte Ablehnung stießen (da sie einer dem Untergang geweihten Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vorhielten und die Fäulnis unter der ornamentalen Fassade aufdeckten). Dass er die für seine Karriere unheilvolle Stadt dennoch nicht wieder verließ, hatte einen banalen menschlichen Grund in Person der 33-jährigen Alma Mahler, die ihn von April 1912 bis Silvester 1914 in einer sehr passionierten Beziehung an den Wirkungsort ihres jüngst verstorbenen Ehemannes Gustav Mahler fesselte und in einen einzigen heftigen Liebeskampf verwickelte, aus dem er sich nach Kriegsbeginn (und ihrer erneuten Hinwendung zu ihrem alten Liebhaber Walter Gropius) nur noch als Kriegsfreiwilliger retten konnte.
An der Ostfront durch Kopfschuss und Bajonettstich in die Lunge schwerst verwundet (August 1915), wachte der &Mac226;Minnesklave endlich aus dem &Mac226;Alma-Traum auf.
Der &Mac226;Wanderer Kokoschka fand auf seiner &Mac226;Flucht ab September 1916 einen Rastplatz in Dresden im Kreise der Pazifisten Fritz Neuberger und Walter Hasenclever und der Schauspielerin Käthe Richter, die ihm einen Rekonvaleszensplatz in &Mac226;Dr. Teuschers Sanatorium auf dem Weißen Hirsch verschafften, wo er seine zweite Kriegsverletzung vom August 1916, einen &Mac226;Shellshock, auskurieren konnte und wo er 1917 im Dresdner Albert-Theater drei seiner Dramen inszenieren und ausstatten durfte. Vom Wintersemester 1919 bis Ende des Sommersemesters 1923 konnte er dann als Professor an der &Mac226;Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Dresden die Studenten lehren, wieder mit eigenen Augen zu sehen (OK).
Mit einer Sonderkollektion im &Mac226;Deutschen Pavillon bei der &Mac226;Biennale 1922 in Venedig wurde seine nationale und internationale Stellung eindrucksvoll unter Beweis gestellt - bis zu seiner nächsten Teilnahme an der &Mac226;Biennale 1948 war Kokoschka jedoch wie sein alter ego Odysseus auf ewiger Wanderschaft: durch ganz Europa, Nordafrika und den Vorderen Orient, um &Mac226;Reisebilder zu malen - und, auf der Flucht vor den Nazis, im Exil in Prag (September 1934 bis Oktober 1938) und in London (Oktober 1938 bis September 1953). Erst nach der Gründung seiner Salzburger &Mac226;Schule des Sehens (1953) zog er ins erste eigene Haus oberhalb von Villeneuve an seinem geliebten Genfer See, wo er bis kurz vor seinem Tod 1980 ein erstaunliches Alterswerk schuf, das den Geist der Antike beschwor, denn Hellas ist für uns alle ein Idealbild wie der Garten Eden (OK).
Die Apoldaer Ausstellung mit 222 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, druckgrafischen Blättern und Künstlerbüchern aus der Stiftung Oskar Kokoschka (Musée Jenisch, Vevey) spannt den Bogen von Kokoschkas ersten Arbeiten 1906 bis zu seinen letzten, schon mit nachlassender Sehkraft gemalten und gezeichneten Werken des Jahres 1976 und installiert seine &Mac226;Schule des Sehens im Kunsthaus, damit wir eine geistige Berührung dank der Ausstrahlung großer Werke (OK, 1963) dieses österreichischen Jahrhundert-Künstlers empfinden können.

Hans-Dieter Mück

Noch bis 7. September im Kunsthaus Apolda Avantgarde.
Weitere Informationen unter: www.kunsthausapolda.de

Katalog: 224 S., mit 75 Farb- und 110 SW-Abb. und 27 SW-Fotos, Preis in der Ausstellung: 24 €, im Buchhandel: 36 €, ISBN 3-935144-07-5