Eine Ikone der Moderne


Henry van de Veldes Weimarer Haus Hohe Pappeln
für die Öffentlichkeit gerettet


Ende der neunziger Jahre war es wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt: das Weimarer Wohnhaus Henry van de Veldes, Haus Hohe Pappeln - neben Georg Muches Haus Am Horn und den Kunstschulbauten van de Veldes das einzige überregional bedeutende moderne Bauwerk in Weimar. Allein 1999 pilgerten fast 20000 Besucher in die Belvederer Allee 58, um das Gebäude, das van de Velde 1907/08 für sich und seine Familie erbaute und das von 1990 bis 1996 als Unesco-Projekt restauriert wurde, zu bewundern. Leihgaben aus Zürich, wie eine originale Speisezimmereinrichtung, ermöglichten, auch van de Veldes Intentionen als Innenarchitekt und Designer nachzuvollziehen und das Haus als Gesamtkunstwerk des Neuen Stils zu erleben.
Am 31. Mai 2001 dann das abrupte Ende. Nachdem die Stadt Weimar von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch gemacht hatte, wurde das Haus zwangsgeräumt und vom Besitzer, der Evangelischen Landeskirche, erneut zum Kauf angeboten. Eine Ikone der Moderne drohte zum Spekulationsobjekt zu werden (siehe auch WKJ 4/2001).
Daß sich nun im Herbst 2002, anderthalb Jahre später und 100 Jahre, nachdem Henry van de Velde nach Weimar kam, die Tore ins Haus Hohe Pappeln wieder für das Publikum öffnen, ist vor allem der unermüdlichen Tätigkeit der Kunstsammlungen zu Weimar und dem 1993 begründeten Förderverein unter Vorsitz von Dr. Thomas Föhl zu danken. Er drängte auf Kaufbedingungen, die das Haus der Öffentlichkeit erhalten, vermittelte den Kontakt zu Dr. Klaus Gallas, der am 29. Mai schließlich den Kaufvertrag unterschrieb - als Zwischenerwerber, der die Kunstsammlungen als Generalmieter einsetzt und ihnen das Ankaufsrecht einräumt, das jederzeit, spätestens aber in 15 Jahren, ausgeübt werden kann. Ohne die Evangelische Kirche, die eine Ratenzahlung des Kaufpreises akzeptiert hat, und die Sparkasse Weimar, die den Kauf vorfinanziert und großzügige Rückzahlungsmodalitäten eingeräumt hat, wäre diese Lösung nicht zustande gekommen. So haben mehrere Partner dazu beigetragen, daß ein architektonisches Kleinod der Öffentlichkeit erhalten bleibt.
Vor allem aber ist es ein Verdienst von Dr. Klaus Gallas. Der Münchner Verleger und Architekturhistoriker, der im August in Weimar heiratete und hierher umziehen will, zeigte sofort Interesse an dem Haus, eine entfernte Verwandtschaft mit dem Weimarer Pfarrer Gallas ebnete ihm die Verhandlungswege, und da er als einziger Interessent sofort bereit war, das Ankaufsrecht der Kunstsammlungen zu akzeptieren, war der Kauf für 550000 € in Kürze perfekt. Der gebürtige Berliner, der in München Architektur, Kunstgeschichte und Archäologie studierte, hat sich seit seiner Promotion über Byzantinische Sakralarchitektur auf Kreta mehr mit griechischer Architektur und Kunst befaßt als mit Jugendstil und Bauhaus. Daß van de Veldes Hinterlassenschaften der Öffentlichkeit gehören sollten, ist für ihn, der in vielen Reise- und Kunstführern Touristen die Schätze der Weltkultur erschlossen hat, eine Selbstverständlichkeit. Als Verleger mit Urheberrechten und Lizenzgeschäften vertraut, weiß er, daß man mit und von Kultur durchaus leben kann, wenn man es versteht, sie entsprechend zu vermarkten. Copyrights für Weimar entwickeln, das scheint ihm eine lohnende Aufgabe. Damit hat er schon begonnen, als er 1999 in der im Gallas Verlag erscheinenden Reihe der praktischen falter auch Goethe in Weimar publizierte. Kunsteditionen wie den zur EXPO 2000 unter der Schirmherrschaft von Nelson Mandela erschienenen Kunstkoffer Dialog der Kulturenoder die in Kooperation mit dem NOK für Deutschland 2002 produzierte Olympia-Edition Farben im Schnee kann er sich in modifizierter Form auch für Weimar vorstellen. Und natürlich würde er gern die in Weimar neu entstehenden van de Velde-Publikationen verlegen. Sein Verlag ist nicht nur für Printmedien, sondern auch in Sachen Kulturmanagement und Merchandising ein kompetenter Partner. Mit dem Kauf des Hauses Hohe Pappeln hat Dr. Gallas einen wichtigen Grundstein dafür gelegt, daß die Stadt Weimar ihr Urheberrecht an dieser Geburtsstätte der Moderne künftig nutzbar machen kann.
Das ist eine Aufgabe, der sich zunächst vor allem die Kunstsammlungen zu Weimar stellen. Ein Marketingkonzept für das Haus entwickeln, nennt es Dr. Thomas Föhl. Und das umfaßt mehr als eine museale Nutzung des Erdgeschosses, das Besucher wieder in der Ausstattung vorfinden wie vor der Schließung im Jahre 2001. Nach Instandsetzung des Souterrains und Sanierung der Räume in der ersten Etage soll die ca. 160 qm große Wohnung im Obergeschoß vermietet und das Souterrain als Geschäftsstelle für mehrere Fördervereine genutzt werden. Auch an eine Vermietung des Hauses für besondere Festlichkeiten wie Hochzeiten ist gedacht. Angestrebt wird das große Ziel, van de Veldes Weimarer Bauten und die bereits zum Welt-erbe zählenden Bauhaus-Stätten, einschließlich eines erweiterungsbedürftigen Bauhaus-Museums, so zu etablieren, daß neben der Klassik auch die Moderne ein Schwerpunkt in der touristischen Vermarktung Weimars wird, der mindestens 10000 Besucher jährlich anziehen könnte.
Das aber setzt voraus, daß das Haus Hohe Pappeln in absehbarer Zeit durch die öffentliche Hand zurückgekauft wird, worauf Dr. Föhl hofft, ist der Kaufpreis doch geringer als die Summe, für die kürzlich das Gemälde von Paul Klee Wasserpark im Herbst (1926) erworben worden ist. Im Personalbedarfsplan für die ab 2003 mit der Stiftung Weimarer Klassik fusionierenden Kunstsammlungen ist bereits eine Wissenschaftler-Stelle mit Schwerpunkt van de Velde vorgesehen. Bis auf weiteres sorgt der Verein mit ABM-Kräften für Garten und Haus Hohe Pappeln.
Unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. Thomas Föhl und Dr. Gert-Dieter Ulferts wird für 2003 eine neue Ausstellung vorbereitet. Gezeigt werden soll die vor drei Jahren erworbene, von van de Velde für die Familie von Münchhausen entworfene Einrichtung ihrer Weimarer Wohnung, datiert von 1904. Das nahezu komplett erhaltene Mobiliar, ausführlich in einer Publikation von Thomas Föhl und Klaus-Jürgen Sembach 1999 dokumentiert, ist eine Rarität, da nur noch wenige Interieurs aus van de Veldes Frühwerk existieren. Schon jetzt wird auch an einem von DFG und Ministerium großzügig geförderten Forschungsprojekt gearbeitet, das zum Ziel hat, die raumkünstlerischen und kunstgewerblichen Arbeiten von Henry van de Velde in einem Werkverzeichnis zu erfassen. Die dafür zuständigen Kunsthistorikerinnen Antje Neumann und Dr. Brigitte Reuter bitten darum, noch unbekannte in Privatbesitz befindliche Werke van de Veldes dem Weimarer Forschungsteam zu melden. Das Vorhaben ist auf drei Jahre veranschlagt. Das dann vorzulegende Werkverzeichnis wird als mehrbändige gedruckte Publikation in zwei Sprachen und als CD-Rom erscheinen. Ein Standardwerk, das läßt sich schon jetzt sagen, womit Weimar zu einem Zentrum der van de Velde-Forschung avanciert.
Die Grundlagen sind geschaffen. Hoffentlich nicht nur für eine kunst- und kulturhistorische Aufarbeitung des Themas Henry van de Velde und die Moderne in Weimar, sondern auch für eine politische Meinungsbildung in der Stadt, die ihre Verantwortung für die einst aus Weimar mehrfach vertriebene Moderne begreift und wie beim Erhalt des Hauses Hohe Pappeln in Taten umsetzt.


Gabriele Drews